Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich darf Sie auch im Namen der msg ganz herzlich zum Digitalen Staat 2021 begrüßen, dieses Mal in virtueller Form.
KI ist eine Schlüsseltechnologie für die betrieblichen Informationssysteme in vielen Unternehmen und in der Öffentlichen Verwaltung. Durch KI-Systeme werden große Mengen an Daten ausgewertet, Entscheidungsprozesse unterstützt bzw. automatisiert und neue digitale Geschäftsmodelle ermöglicht.
Methoden und Technologien der KI sind prinzipiell nicht neu, die theoretischen Grundlagen sind schon lange verfügbar1. Dennoch hat sich die Diskussion über die Anwendung lernender Systeme mit - Stichwort Machine Learning2 – sehr intensiviert. Denn lernende KI-Systeme adaptieren sich selbst und entziehen sich damit ein Stück weit der Kontrolle des Entwicklers. Ihr Verhalten basiert nicht auf einer Spezifikation, sondern auf der Auswertung von Trainingsdaten im Rahmen eines Lernprozesses. Und mangels einer Spezifikation kann das Verhalten von KI-Systemen nicht mit klassischen Testmethoden verifiziert werden.
Daran entzünden sich eine Reihe von Diskussionen über gesellschaftliche und politische Grundprinzipien sowie Forderungen nach Regulierung des Einsatzes von KI-Systemen.3 4 5 6 7
Dabei entsteht oft der Eindruck, hier würde eine Diskussion über gut und böse geführt, als wären algorithmische Systeme per se etwas Bedrohliches. Ich möchte auf einige zentrale Herausforderungen beim Einsatz von KI näher eingehen um diese Diskussion etwas zu objektivieren.
KI und Daten
KI-Systeme benötigen einerseits große Mengen an Trainingsdaten, erzeugen andererseits aber auch große Datenmengen. Diese Kumulation von Daten beschleunigt sich selbst und führt zu einer überproportionalen Steigerung des wirtschaftlichen Wertes von Daten. Bestehende Unternehmen können damit überproportional wachsen während für neue Unternehmen die Markteintrittshürde immer höher wird.8
Die Hoheit über große Datenmengen verhilft zu wirtschaftlicher Macht, ermöglicht Einfluss auf die öffentliche Meinung und hat – wie wir in Wahlkämpfen zunehmend feststellen müssen- sogar das Potential politische Entscheidungen9 zu beeinflussen.
Daraus resultiert die Debatte zur Verfügungsgewalt über Daten10 11 im Spannungsfeld unternehmerischer, gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen. Die Erfassung und Verarbeitung von Daten ist ein Wertschöpfungsprozess in Unternehmen, der den Zugriff auf die dadurch gewonnenen Erkenntnisse durchaus rechtfertigt. Dem gegenüber steht das wirtschaftspolitische Interesse eines funktionsfähigen Wettbewerbs zur Vermeidung von marktbeherrschenden Monopolen bei digitalen Diensten12. Im Interesse des Gemeinwohls besteht darüber hinaus die Forderung, Daten die im öffentlichen Raum erhoben wurden, für Unternehmen und wissenschaftliche Zwecke allgemein zugänglich zu machen.
Um diese widerstreitenden Interessen auszugleichen13 brauchen wir klare Regeln für die wirtschaftliche Nutzung von Daten und das Teilen von Daten zwischen Unternehmen. Dabei müssen personenbezogene Daten in jedem Fall besonders geschützt werden, aber auch Investitionen von Unternehmen in datenbasierte Erkenntnisse und Betriebsgeheimnisse müssen geschützt sein. Dazu ist ein fairer Ausgleich nötig zwischen Bürgern, die Daten im Alltag generieren und Wirtschaftsunternehmen, die daraus ökonomischen Nutzen ziehen.
Schnittstelle zwischen Mensch und KI
Durch den Einsatz von KI verändert sich die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine. IT-Systeme können dem Menschen nicht nur einfache Rountinearbeiten abnehmen, sondern zunehmend auch komplexe Entscheidungen vorbereiten und sogar abnehmen.
Einerseits können KI-Systeme durch die Übernahme von Routineaufgaben für Entlastung sorgen, andererseits steigen die Anforderungen, weil der Mensch die Vorschläge des IT-Systems verstehen muss, um Entscheidungen zu treffen.
Der verstärkte Einsatz von KI in betrieblichen Informationssystemen wird von vielen Arbeitnehmern als einschneidende Veränderung der Arbeitsbedingungen wahrgenommen14 15 16. Damit diese Veränderungen nicht als Bedrohung erlebt werden, braucht es eine mensch-zentrierte KI, die vom Nutzer als Unterstützung bei der Erfüllung seiner Arbeit wahrgenommen wird.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Mythos der KI als Arbeitsplatzvernichter. Gerade in der öffentlichen Verwaltung wird KI keine Arbeitsplätze vernichten sondern vielmehr dazu beitragen, dass die Servicequalität staatlicher Aufgaben für Bürger und Unternehmen angesichts des demografischen Wandels langfristig auch mit weniger Personal erhalten werden kann.
KI und Diskriminierung
Lernende KI-Systeme verwenden Daten der Vergangenheit um daraus Verarbeitungsregeln für die Zukunft abzuleiten. Dabei wird oft der Vorwurf erhoben, KI-Systeme würden einzelne Personengruppen diskriminieren indem z.B. dunkelhäutige Menschen schlechter erkannt werden, Bewohner bestimmter Stadtteile bei Versandhäusern nur gegen Vorkasse bestellen können und Frauen bei Einstellungen schlechter bezahlt werden.17
Dabei tun KI-Systeme eigentlich nur eines: sie werten mit statistischen Methoden Daten der Vergangenheit aus und ziehen daraus – sehr vereinfacht ausgedrückt - durch Korrelationsanalyse Rückschlüsse zur Bearbeitung von weiteren Daten. Was KI-Systeme nicht können ist Kausalzusammenhänge erkennen. Ein KI-System kann nicht „erklären“, warum zwei Bewerber unterschiedlich hohe Gehälter bekommen und schon gar nicht ob das gerechtfertigt ist.
Bei der Entwicklung klassischer IT-Systeme ist in vielen Fällen eine Differenzierung der Verarbeitung anhand von persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Wohnort in den Anforderungen spezifiziert. Ungeachtet der Frage, ob eine solche Ungleichbehandlung im konkreten Einzelfall rechtlich zulässig und moralisch vertretbar ist, wird damit zumindest Transparenz erreicht. Beim Einsatz von lernenden KI-Systemen besteht die Herausforderung darin, dass eine Differenzierung nicht spezifiziert ist, sondern erst im Verlauf eines Lernprozesses durch die Trainingsdaten entsteht und damit nicht direkt transparent wird.
Diskriminierung beim Einsatz von KI-Systemen entsteht also indirekt durch die Auswahl der Trainingsdaten und der gewählten Attribute für den Lernprozess. Wir müssen daher Trainingsdaten genau prüfen; gesetzlich verbotene oder moralisch nicht vertretbare Ungleichbehandlungen müssen wir erkennen und abstellen.
Der Einsatz von KI-Systemen birgt zweifellos das Risiko, bestehende Diskriminierungen zu verfestigen, aber auch die Chance, sie zu erkennen. Wir dürfen bei der Diskussion über die Anwendung von KI aber nicht Ursache und Wirkung verwechseln. KI-Systeme schaffen keine gesellschaftlichen Probleme, sie können allerdings bestehende Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen etc. offensichtlich machen. Gesellschaftliche Probleme können durch KI-Systeme nicht aus der Welt geschafft werden - sie können nur gesellschaftlich (also politisch) gelöst werden.18
Transparenz und Erklärbarkeit von KI
Eine weitere Herausforderung im Umgang mit lernenden KI-Systemen ist die Nachvollziehbarkeit des Systemverhaltens. Jede Art von Verwaltungsentscheidung muss rechtssicher begründet und überprüfbar sein. Das ist nur möglich, wenn der Prozess der Entscheidungsfindung nachvollziehbar ist. Dies ist bei automatisierten Entscheidungen wie der KFZ-Steuerberechnung relativ einfach. Entscheidungen von lernenden Systemen auf Basis von neuronalen Netzen sind derzeit praktisch nicht nachvollziehbar. Ein neuronales Netz ist je nach verwendeter Technologie eine black box und im Einzelfall ist nicht exakt reproduzierbar, welche Faktoren zu einer Entscheidung geführt haben.19
Das Verhalten von lernenden KI-Systemen kann nur durch Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden und unterliegt damit immer einer gewissen Unsicherheit. Welche Entscheidungen ich einem KI-System also überlassen will hängt im Wesentlichen davon ab, welches Maß an Unsicherheit ich je nach Einsatzgebiet ethisch und rechtlich akzeptieren kann und will. In Verwaltungsprozessen sind daher der Automatisierung von Entscheidungen enge Grenzen gesetzt20.
Die Forderung nach Transparenz und Nachvollziehbarkeit kann beim Einsatz von Machine Learning mit dem aktuellen Stand der Technik nur schwer erfüllt werden und bleibt wohl auf absehbare Zeit Gegenstand der Forschung.
Regulierung von KI
Die beschriebenen Konfliktfelder führen zu der Frage nach der Regulierung von KI.
Vor einem Jahr hat die Datenethikkommission der Bundesregierung ihren Abschlussbericht vorgelegt. Damit sollten Grundlagen für die Regulierung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und zur Verwendung von Daten geschaffen werden. Seitdem ist jedoch wenig passiert: Weiter wird über eine Datenstrategie und eine Fortschreibung der KI-Strategie von 2018 diskutiert.
Praktische Maßnahmen sind derzeit nicht erkennbar. Und die wären dringend nötig, denn unsere Wirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung datenbasierter Geschäftsmodelle und KI-gestützter Systeme. Wir benötigen zweifellos einen ethischen Kompass für den Umgang mit Daten und den Einsatz von KI, damit Menschen Vertrauen in solche Systeme haben und souverän entscheiden können, welche Systeme sie nutzen wollen und welche nicht. Was wir hingegen nicht brauchen, ist eine langwierige Diskussion darüber, ob ein Risikomodell für algorithmische Systeme 3, 5 oder vielleicht doch 7 Stufen erfordert. Diese Differenzierung und deren praktische Bedeutung für den Alltag ist am Ende für den Verbraucher kaum nachvollziehbar. Die Zeit läuft. Die technische Entwicklung nimmt keine Rücksicht auf parteipolitische Befindlichkeiten und ideologische Grundsatzdiskussionen. Im internationalen Wettbewerb müssen deutsche und europäische Unternehmen sich mit ihren Produkten behaupten; doch sie finden auf ihrem Heimatmarkt keine klaren Rahmenbedingungen vor. Der Staat investiert in die Forschung zu KI, fördert die Gründung von Startups, die aus den Forschungsergebnissen verwertbare Produkte entwickeln sollen und am Schluss entstehen daraus Geschäftsmodelle, Von denen unklar ist, ob sie rechtlich Bestand haben werden.
Ein Meilenstein hierzu könnten die neuesten EU-Vorschläge21 zur Regulierung des KI-Einsatzes sein.
Fazit
KI bietet große Chancen, stellt uns aber zweifellos auch vor einige Herausforderungen. KI ist weder gut noch böse, es kommt drauf an was man draus macht. Die Politik muss klare Rahmenbedingungen schaffen statt komplizierter Absichtserklärungen und die öffentliche Verwaltung sollte aktiv Anwendungsgebiete für KI erschließen.
Wir brauchen mehr digitale Kompetenz im Alltag und im Berufsleben um Ängste im Umgang mit digitalen Technologien abzubauen. Und was wir dringend brauchen ist mehr Sachverstand und gesellschaftliches Bewusstsein bei der Auswahl der Daten, mit denen wir KI-Systeme trainieren.
Und dafür bedarf es – nach wie vor – menschlicher Intelligenz.
Ich wünsche uns allen eine interessante Online-Konferenz und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Bleiben Sie gesund und ich hoffe, dass wir uns nächstes Jahr wieder gemeinsam vor Ort treffen können.
Quellen
[1] Alan M. Turing: Computing Machinery and Intelligence. In: Mind. Band LIX, Nr. 236, 1950, ISSN 0026-4423, S. 433–460. „Turing-Test zur Überprüfung der Denkfähigkeit einer Maschine“
[2] https://www.iks.fraunhofer.de/de/themen/kuenstliche-intelligenz.html „Bei maschinellen Lernverfahren erlernt ein Algorithmus durch Wiederholung selbstständig eine Aufgabe zu erfüllen. Die Maschine orientiert sich dabei an einem vorgegebenen Gütekriterium und dem Informationsgehalt der Daten. Anders als bei herkömmlichen Algorithmen wird kein Lösungsweg modelliert. Der Computer lernt selbstständig die Struktur der Daten zu erkennen.“
[3] Datenstrategie der Bundesregierung
[4] Home - KI Strategie (ki-strategie-deutschland.de)
[5] commission-white-paper-artificial-intelligence-feb2020_de.pdf (europa.eu) EU-Weißbuch zu KI
[6] EUR-Lex - 52020PC0825 - EN - EUR-Lex (europa.eu) Digital Service Act
[7] EUR-Lex - 52020PC0842 - EN - EUR-Lex (europa.eu) Digital Markets Act
[8] Bundesfinanzministerium - Forschungsvorhaben zu datenbasierten Märkten abgeschlossen „Ein vom BMF beauftragtes Forschungsvorhaben der Universität Tilburg kommt zu dem Ergebnis, dass auf einigen datenbasierten Märkten die Marktposition des dominanten Unternehmens für andere Wettbewerber mit deutlich weniger Daten in mittlerer Frist nicht einzuholen ist, was zu geringeren Innovationsanreizen führe.“
[9] Australien: Facebook blockiert jetzt alle Medieninhalte - das steckt dahinter - DER SPIEGEL
[10] BMJV | Netzwerkdurchsetzungsgesetz Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG)
[11] denkimpuls_datenhoheit.pdf (initiatived21.de)
[12] Datenstrategie der Bundesregierung „ …. weil Daten als Kernbestandteil der digitalen Welt besondere Eigenschaften haben: Sie können von vielen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren für unterschiedliche Zwecke genutzt, geteilt und verknüpft werden – ohne sich dabei an sich zu verbrauchen“
[13] Datenwirtschaft in Deutschland (bdi.eu)
[14] Factsheet-3-KI-und-Arbeitswelt.pdf (cais.nrw)
[15] Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt ifaa-Direktor Stowasser beim Zukunftsgespräch der Bundesregierung (arbeitswissenschaft.net) „… Analysen zeigen, dass sich 75 Prozent der Arbeitsplätze verändern werden. KI wirkt in drei Richtungen: KI unterstützt die Beschäftigten bei der Arbeit, KI führt zur Automatisierung und ersetzt menschliche Arbeit sowie KI ist Quelle neuer Berufsbilder.“
[16] Künstliche Intelligenz by Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. - issuu
[17] Gutachten der Datenethikkommission (bund.de)
[18] Bitkom zum Abschlussbericht der Datenethikkommission | Bitkom e.V.
[19] Erklärbare KI (digitale-technologien.de) Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen der Begleitforschung zum Technologieprogramm „Künstliche Intelligenz als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme“
[20] Nadja Braun Binder, in Margrit Seckelmann (Hrsg); Digitalisierte Verwaltung, S.311
[21] Künstliche Intelligenz – Exzellenz und Vertrauen | EU-Kommission (europa.eu)
1. Welche Ziele verbindet die Bundeswehr mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Andreas Höher: Einfach gesagt, bedeutet die Nutzung von KI für die Bundeswehr konkurrenzfähig zu bleiben. Im konkreten bedeutet es sowohl mit Verbündeten und Partnern als auch mit potenziellen Gegnern, welche die Entwicklung und den Einsatz von KI zur militärischen Nutzung deutlich forcieren, nicht nur Schritt halten zu können, ja zu müssen, sondern darüber hinaus in den Bereichen Führung, Aufklärung, Wirkung und Unterstützung (FAWU) eine Informations-, Führungs- und Wirkungsüberlegenheit erreichen zu können. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Bundeswehr den Einsatz sogenannter letaler autonomer Waffensysteme (LAWS) aus militärischer Sicht nicht anstrebt. Die derzeitige und auch zukünftige Nutzung von automatisierten und autonomen Systemen hat entlang der politischen und rechtlichen Vorgaben zu erfolgen.
2. In welchen Bereichen wird heute bereits Künstliche Intelligenz eingesetzt?
Andreas Höher: Auf die parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, in welchen Bereichen die Bundeswehr derzeit Künstliche Intelligenz einsetzt und in welchen Bereichen ein derartiger Einsatz geplant sei, antwortete das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) offiziell:
- im Bereich der Gesundheitsversorgung, vergleichbar mit zivilen Anwendungen, beispielsweise im Bereich der computerassistierten Chirurgie
- im Kölner Bundessprachenamt seit Januar 2020, wo KI die Übersetzer des Geschäftsbereichs des Verteidigungsministeriums zu unterstützen
- im Lagezentrum für den Cyber- und Informationsraum (GLZ CIR), als Unterstützung für die Erstellung eines fusionierten Lagebildes (u.a. Entscheidungsvorbereitung).
Zusätzlich hat die Bundeswehr ein eigenes KI-Labor. Dort werden Innovationen im Bereich der elektronischen Kampfführung entwickelt. Natürlich gibt es darüber hinaus noch eine Vielzahl von Bereichen und Anwendungsfällen, in denen KI bei der Bundeswehr zur Anwendung kommen wird(!).
3. Welche Pläne und Szenarien gibt es für KI bei der Bundeswehr und bis wann sollen diese Realität werden?
Andreas Höher: Es ist davon auszugehen, dass auch im Kontext internationaler Entwicklungen im Zeitraum von 2030 bis 2035 mit (teil-) automatisierten / autonomen Systemen auf dem Gefechtsfeld der Zukunft zu rechnen ist. Wie bereits angesprochen, gibt es bei der Bundeswehr vielfältige Anwendungsbereiche für den Einsatz von KI, die derzeit durch Studien, Versuche und Tests untersucht werden. Aktuelle Beispiele dafür sind
- die Bilddatenanalyse im Bereich der Aufklärung
- die Anomalie Erkennung
- die zivil-militärische, ressortübergreifenden Krisenfrüherkennung bei der Analyse von Massendaten und für Prognosen
- die Täuschung von aufklärender, gegnerischer KI
- die Prozessoptimierung im Bereich der Logistik
- die Erkennung von Angriffsmustern im Bereich der Cyberabwehr
- die Steuerung unbemannter Systeme im Schwarm und
- die Entscheidungsunterstützung im Führungsprozess zur Operationsplanung und -führung
KI wird immer dann verstärkt zur Anwendung kommen, wo KI dem Menschen insbesondere hinsichtlich Geschwindigkeit und Präzision deutlich überlegen ist, so z. B. wenn es um die Erfassung, Strukturierung, Analyse und Auswertung großer Datenmengen geht oder aber bei Aufgaben, die besondere Anforderungen an die Feinmotorik stellen. Ob und wann die Umsetzung der Pläne zum Einsatz von KI Realität werden, ist jedoch nicht nur eine Frage, wie technische Herausforderungen gelöst werden, sondern ebenfalls eine Frage des politischen Engagements. Genannt sei in diesem Zusammenhang ebenfalls die in Deutschland gerade im parlamentarischen Raum sehr intensiv geführte Diskussion hinsichtlich des ethischen Aspektes des militärischen Einsatzes von KI.
Aber auch verfügbare Haushaltsmittel wie auch der Beschaffungsprozess (Customer Product Management) spielen bei der Realisierung von KI und der Frage nach dem „wann“ bei der Bundeswehr eine signifikante Rolle.
4. Welche technischen Herausforderungen sind damit verbunden?
Andreas Höher: Essenzielle Grundvoraussetzung für den Einsatz von KI ist ein zügiges Fortschreiten der Digitalisierung in der Bundeswehr. Denn nur dort, wo eine lückenlose Übertragung aller Daten sichergestellt wird, wie z. B. bei Sensordaten in Einsatzgebieten, also die fortlaufende Aktualisierung und Speicherung sämtlicher Daten eigener Kräfte als auch sämtliche Aufklärungsdaten gegnerischer Kräfte, kann KI seine Stärke in der Erfassung und Verarbeitung von Daten ausspielen.
Der Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum versteht sich dabei als Treiber der Digita- lisierung in der Bundeswehr. Im Rahmen des Projektes „CIR 2.0“ wird dieser Bereich mit der Schaffung des Zentrums für Digitalisierung einen organisatorischen Schwerpunkt setzen, um damit die notwendigen Voraussetzungen für die Nutzung von KI bei der Bundeswehr zu bilden.
Technische Herausforderungen, die in der KI selbst begründet sind, liegen vereinfacht gesagt unter anderem in der Komplexität der KI und deren Beherrschbarkeit, der Integrierbarkeit der KI in das bestehende IT-System der Bundeswehr aber auch im Zusammenwirken von KI mit dem Nutzer.
5. Wie lässt sich diesen Herausforderungen wirkungsvoll begegnen?
Andreas Höher: Grundsätzlich gilt im Zusammenhang mit Technologiebeschaffungen, diese durch geeignete Studien, Versuche und Tests abzusichern, da die Effektivität des Technologieeinsatzes oft nicht vorhersagbar ist. Dies gilt ebenfalls für den Einsatz von KI.
Konkret wendet die Bundeswehr die Methode „Concept Development and Experimentation (CD&E)“ an und überprüft mittels Anwendung dieser Methode innovative Ideen auf ihren operationellen Nutzen für die Bundeswehr durch wiederholte Gegenüberstellung von Konzeptentwicklung und experimenteller Erprobung.
Solche Ideen können in allen Bereichen der Bundeswehr generiert werden. Im Übrigen verfügt die Bundeswehr in der Verantwortung der BWI über einen Cyber Innovation Hub, der gerade aus der Startup-Szene innovative Technologien für die Bundeswehr zu erschließen sucht. Aber auch die Forschung und die gewerbliche Wirtschaft haben die Möglichkeit, im Rahmen von CD&E Ideen bei der Bundeswehr einzubringen. Erkenntnisse von Einsätzen und Übungen der Streitkräfte bewirken ebenfalls Ideen die in CD&E Programmen untersucht werden.
Darüber hinaus führt die Bundeswehr sogenannte Forschungs- und Technologie-Vorhaben (F&T) in drei ressorteigenen wehrtechnischen Bundeseinrichtungen mit FuE-Aufgaben aber auch mit Dritten, wie z.B. Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, unabhängige Wissenschaftler, Dienstleister und gewerbliche Wirtschaft, durch.
6. Gibt es einen Austausch mit anderen Branchen oder Industrien? Wie lässt sich wechselseitig von den Ideen und Erfahrungen in der Umsetzung der neuen Technologien profitieren?
Andreas Höher: Ja, natürlich gibt es einen Austausch mit anderen Branchen und Industrien. Seit 2014 treffen sich z.B. die Leitung des Verteidigungsministeriums und Vertreter der Rüstungswirtschaft regelmäßig zum sogenannten „Strategischen Industriedialog“. Dabei findet auf Seiten der Industrie eine Bündelung der Industrievertreter in den jeweiligen Industrieverbänden, wie z.B. dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) oder dem Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) statt. Und gerade auch die bereits angesprochene experimentelle Vorgehensweise bei CD&E und FuT führt schon zu einem engen Austausch zwischen Bundeswehr, Wissenschaft, Forschung und Industrie.
Von dem Austausch profitieren natürlich die Bundeswehr wie auch die Zivilwirtschaft. Die Bundeswehr konzentriert sich primär auf Ihre Fähigkeiten und deren Weiterentwicklung im Bereich der FAWU und ist wenig daran interessiert, jedes Mal das Rad neu zu erfinden. Gerade im Bereich der Studien, Versuche und Tests zur Untersuchung neuer Technologien wird daher hinterfragt, welche zivilen Erfahrungen mit der jeweiligen Technologie bereits vorliegen und inwieweit zivile Anwendungsfälle auf die Bundeswehranforderungen übertragbar sind.
Umgekehrt bedeuten die spezifischen Anforderungen der Bundeswehr an die jeweilige Technologie die Möglichkeit einer Fortentwicklung dieser Technologie durch die Industrie. Also eine klassische win-win-Situation, wie z.B. der Einsatz von KI zur Optimierung von Logistikprozessen. So verwenden beispielsweise Logistikdienstleister in vielen Bereichen KI-Verfahren zur Vorhersage von zukünftigem Transportbedarf, zur Optimierung von Logistikrouten oder zur Prognose von Verzögerungen im Luft-, Schienen- oder Seefrachtbereich. Lösungen, die sich 1:1 auf die Bundeswehr übertragen lassen. Bundeswehr spezifische Lösungen entstehen hingehen über CD&E und FuT, und auch hier findet sowohl ein wechselseitiger Austausch wie auch gegenseitige Wertschöpfung statt.
Als Bereichsleiter verantwortet Andreas Höher das Verteidigungsgeschäft der msg. Er war Offizier bei der Bundeswehr.