von Bernd Hahn und Ulrich Berghaus
Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2021
Projektunterstützung maßgeschneidert
Projektmanagement hat eine lange Geschichte. Instrumente wie das Gantt-Chart1 sind über hundert Jahre alt, und obwohl der Kern des Projektmanagements – die Vereinbarung des magischen Dreiecks „Lieferobjekte, Termine und Kosten“ – über die Jahrzehnte gleichgeblieben ist, verändert sich das Projektmanagement stetig.
Neue Rahmenbedingungen ermöglichen neue Lösungen
Digitalisierung, Agilität oder Managementansätze wie Servant Leadership2 haben ebenso einen Einfluss auf das Projektmanagement wie auf die Rolle des Projektmanagers. Hinzu kommen neue Konzepte, die den Projektmanager dabei unterstützen sollen, die vereinbarten Liefergegenstände bei gleichzeitiger Einhaltung der geplanten Kosten, der Zeit und unter Erreichung der gewünschten Qualität bereitzustellen. Eines dieser Konzepte ist das „Project Office as a Service“ (POaaS).
Project Office vs. Project Management Office
In den verschiedenen Projektmanagementstandards (PMI, PRINCE2, IPMA/GPM) sind Project Office (PO) oder Project Management Office (PMO) nicht eindeutig definiert. In diesem Artikel wird die Definition gemäß GPM verwendet. Entsprechend der GPM „unterstützt [das Project Office] das Projekt bzw. den Projektmanager in administrativen Tätigkeiten für die Dauer der Projektlaufzeit. Dieses Büro ist dem Projektmanager zugeordnet und wird dediziert für das betreffende Projekt angelegt“.3 Das PO ist nicht mit dem PMO zu verwechseln. Das PMO ist gemäß GPM „eine permanente Einheit, die für die Etablierung, Implementierung und Fortentwicklung des Projektmanagementsystems zuständig ist“. Damit ist das PMO für die Strategie im Projektmanagement eines Unternehmens oder einer Behörde zuständig.
Das Project Office
Das Project Office (PO) ist eine dem Projektmanager untergeordnete projektinterne Stabsstelle oder Projekteinheit. Sie unterstützt den Projektmanager bei der Ausübung seiner Tätigkeiten. Im Regelfall übernimmt das PO primär administrative Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Pflege des Projekthandbuchs, On- und Offboarding der Projektmitarbeiter, Dokumenten- oder Meeting-Management. Die steuernden Tätigkeiten verbleiben im Kompetenzbereich des Projektmanagers. Er verantwortet weiterhin die Projektzielerreichung. In kleineren Projekten übernimmt der Projektleiter in der Regel alle Projektmanagementtätigkeiten selbst. In größeren Projekten oder Programmen – wenn die Gesamtausübung der Projektmanagementtätigkeiten die Kapazität des Projektleiters überschreitet – wird häufig ein festes Project Office etabliert. Dabei werden die benötigten Ressourcen für das Project Office von Beginn an fest eingeplant, davon ausgehend, dass die Aufwände gleichbleibend über die Projektlaufzeit benötigt werden.
Schwankender PM-Aufwand führt zu Ressourcenproblemen
Jedoch kann der Aufwand für das Managen eines Projekts über die Dauer der Projektlaufzeit schwanken (siehe Abbildung 1). Die Gründe liegen in den zu erledigenden Aufgaben der unterschiedlichen Projektphasen. So sind für den Projektmanager die Phasen der Projektinitialisierung und des Projektabschlusses (Abnahme von Liefergegenständen) meist aufwendiger als andere Phasen. Hinzu kommt, dass es in der Realität immer wieder zu Abweichungen vom Projektplan kommt. Unerwartete, unplanbare Ereignisse erfordern hierbei die volle Aufmerksamkeit und das schnelle Handeln des Projektmanagers. In diesen Phasen führen Standardtätigkeiten, wie das Erstellen eines Statusberichts, schnell zur Überlastung des Projektleiters.
Der schwankende Projektmanagementaufwand hat einen direkten Einfluss auf die Auslastung eines Project Offices. In Phasen mit geringem Projektmanagementaufwand sind im Project Office Kapazitäten frei, seine Auslastung ist nicht gewährleistet.
Abbildung 1: Ressourceneinsatz bei herkömmlichen PO und bei POaaS
Das wirkt sich negativ auf die Projektkosten aus, da unproduktive Personalkosten anfallen. Dem stehen die Projektphasen mit hohem Managementaufwand gegenüber. In diesen Phasen ist das Project Office überlastet, was sich häufig auf die Qualität der Arbeit, das Einhalten von Terminen und auf die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirkt.
Hinzu kommt, dass in den Unternehmen und Behörden meist eine Vielzahl von Projekten gleichzeitig stattfindet – von kleinen Projekten bis hin zu großen Programmen. Je nach Projektgröße liegt der Schwerpunkt der PO-Tätigkeiten an anderer Stelle. Bei kleinen Projekten kommt es schnell zu einer Überlastung des Projektmanagers, da beispielsweise das Erstellen von Berichten „immer zum falschen Zeitpunkt“ kommt. In großen Projekten oder Programmen wiederum muss auf die Auslastung der Mitarbeiter geachtet werden. Nicht zu vergessen die Projekte, die zwischen Kleinprojekt und großem Programm liegen. Hier stellt sich dem Projektmanager häufig die Frage: „Etabliere ich ein PO oder nicht?“
Die Lösung: POaaS
Die Lösung für dieses Dilemma ist das POaaS (Project Office as a Service). Mit der Einführung eines POaaS kann das klassische PO im Projekt entfallen. Projektmanager müssen nicht mehr abwägen, ob sich die Etablierung eines PO rechnet und die Auslastung gewährleistet ist. Jeder Projektmanager kann flexibel, bedarfsgerecht und individuell PO-Leistungen als Service beziehen. Um das zu gewährleisten, wird ein Project Office zentral als Stabstelle eingerichtet. Alternativ kann auf einen externen Dienstleister zurückgegriffen werden, der die entsprechenden Services bedarfsgerecht anbietet.
Das POaaS bietet alle Tätigkeiten eines Project Offices als Services, auf Basis fest definierter Leistungen an. Vom Projektmanager können die Leistungen flexibel gebucht werden. Um die Qualität der PO-Services zu gewährleisten, verfügt jeder Service über fest definierte Qualitäts- und Abnahmekriterien. Diese Organisationsform ermöglicht es dem Projektmanager, bedarfsgerecht PO-Leistungen zu beziehen, und zwar dann, wenn sie tatsächlich benötigt werden. Damit werden die Schwankungen im Projektmanagement ausgeglichen. Es entsteht ein positiver Effekt bezüglich der Kosten und der Belastung der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter.
Leistungen eines POAAS
Um die Organisationsform des POaaS effektiv zu nutzen, werden hier Leistungen zusammengefasst, die in Projekten meist nur temporär benötigt werden. Dazu gehören – neben den klassischen Tätigkeiten der Projektassistenzen zur Erstellung von Statusberichten, Protokollen etc. oder das On- und Offboarding von Mitarbeitern – auch Tätigkeiten wie das Risiko- und Stakeholder- Management oder im agilen Umfeld auch die Funktion eines Scrum-Masters. Um diese Tätigkeiten effektiv, effizient und qualitativ hochwertig durchzuführen, wird im POaaS entsprechend qualifiziertes Personal, unter anderem ausgebildete Projektmanager, eingesetzt. Die Erfahrung zeigt, dass PO-Mitarbeiter aufgrund ihrer Tätigkeit in der Regel gewissenhafter und weniger risikoaffin als Führungskräfte (wie zum Beispiel Projektleiter) sein müssen und sind.
POaaS als Dienstleister
Wie bereits beschrieben, wird das Projekt Office zentral als Stabstelle etabliert und ist somit eine projektexterne und projektübergreifende Organisation. Durch die Besetzung mit erfahrenen und gut ausgebildeten Mitarbeitern werden Projektmanager bei ihren Tätigkeiten professionell unterstützt. Mit entsprechenden Schulungen werden alle Mitarbeiter des POaaS ständig fortgebildet. So steht stets bestens geschultes Personal zur Verfügung. Als zentraler Dienstleister im Unternehmen bietet das POaaS seine Tätigkeiten und sein Know-how vielen Projekten an. Dadurch entsteht auf der Seite des POaaS ein Skaleneffekt, der schwankende Bedarfe ausgleicht. Das führt zu einer gleichmäßigen Auslastung der Ressourcen im POaaS-Pool.
POaaS und Qualität
Im Idealfall arbeitet das POaaS eng mit dem PMO des Unternehmens zusammen und wendet die vorhandenen Projektmanagementstandards, zum Beispiel beim Erstellen des Projekthandbuchs, an. Damit unterstützt das POaaS nicht nur die Projekte, sondern auch das PMO bei der Implementierung und Etablierung von Projektmanagementstandards. Dies führt zu einer kontinuierlichen Qualitätssteigerung der Projektmanagementtätigkeiten über alle Projekte hinweg und ermöglicht es, einen unternehmensweiten Projektmanagementstandard einzuführen und zu verbessern (Erreichen von Projektmanagement Excellence).
Wird das POaaS entsprechend aufgebaut, verfügt es über eine Vielfalt an erfahrenen PO-Mitarbeitern. Innerhalb des POaaS können somit leichter „Good Practices“ für das Unternehmen beziehungsweise die Behörde entwickelt werden, die die Abwicklung von PO-Services kosten- und zeiteffizienter ermöglichen sowie qualitativ verbessern.
POaaS – Eine Lösung für alle?
Auf den ersten Blick bietet das POaaS nur Vorteile für alle Beteiligten. Allerdings drängt sich die Frage auf, wieso das POaaS bis heute keine weitverbreitete, standardisierte Organisationform ist. Dies lässt sich primär durch die folgenden vier zu meisternden Herausforderungen erklären:
Digitalisierung
Das Konstrukt des POaaS erfordert eine IT-Infrastruktur, die eine schnelle, transparente Beauftragung sowie Abwicklung der PO-Services ermöglicht – im Idealfall unter Berücksichtigung der definierten Qualitäts- und Abnahmekriterien. Technische Lösungen für diese Anforderungen, wie zum Beispiel Jira Service Desk, gibt es erst seit Kurzem.
Reifegrad
Das POaaS erfordert einen gewissen, durchaus hohen Reifegrad der Organisation in Bezug auf Projekt- und Prozessmanagement. Eine POaaS-Organisation erfordert fest etablierte, standardisierte Prozesse und Projektmanagementstandards. Nur dann ist es dem POaaS möglich, die Projekte bestmöglich in hoher, gleichbleibender Qualität mit PO-Services zu versorgen, sowie kontinuierliche Qualitätsverbesserungen zu erzielen.
Initialer Aufwand
Der Wechsel vom klassischen PO zu einer POaaS-Organisation ist zunächst mit Aufwänden verbunden. Es müssen die IT-Infrastruktur geschaffen sowie Prozesse (zum Beispiel der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP)) und Strukturen (beispielsweise Kommunikationsstrukturen) entwickelt und implementiert werden. Zudem müssen ein Leistungskatalog sowie ein Vergütungsmodell erarbeitet werden. Dies ist zu Beginn aufwendig und zeitintensiv. Auch die Transitionsphase, in der das POaaS in die Organisation eingeführt wird, ist in der Praxis mit erhöhtem Aufwand verbunden, da Prozesse und Strukturen nachgeschärft werden müssen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Wie bei jeder großen, strukturellen Veränderung braucht auch der Wechsel weg von dedizierten Project Offices, hin zu einer POaaS-Organisation die Unterstützung der Beteiligten, der Betroffenen und vor allem des Managements. Das POaaS kann nur erfolgreich sein, wenn sowohl entscheidende Instanzen als auch Projektmanager, Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter diese Organisationsform unterstützen. Es sind auch diese vier Herausforderungen, die den Einsatz externer POaaS-Services – zumindest in der Anfangsphase – nahelegen. POaaS-Anbieter haben diese vier Herausforderungen bei der Bereitstellung von PO-Leistungen in der Regel schon gemeistert. Sie können daher auch aufgrund ihrer Erfahrung bei der Einführung einer unternehmens- oder behördeninternen POaaS-Organisation unterstützen und beraten.
Fazit
Ein POaaS ist eine zukunftsorientierte und innovative Organisationsform, die Unternehmen oder Behörden mit einer Vielzahl von Projekten und fortgeschrittenem Reifegrad große Vorteile bietet. Sie ermöglicht die bedarfsgerechte, flexible und individuelle Versorgung der Projekte mit PO-Services. Ist die Organisation einmal erfolgreich etabliert, ermöglicht das POaaS Unternehmen, Behörden und vor allem den Projekten, Kosten maßgeblich zu senken sowie hohe Qualitätsstandards zu etablieren und weiterzuentwickeln. •
1 Henry Gantt (1861 bis 1919), US-amerikanischer Maschinenbauingenieur und Unternehmensberater.
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Servant_Leadership (abgerufen am 16.03.2021).
3 GPM: Kompetenzbasiertes Projektmanagement (ICB 4).