Montag, 07. November 2022
Bei modernen IT-Anwendungen führt derzeit kein Weg an der Cloud vorbei. Um die Vorteile konsequent zu nutzen, setzen immer mehr Unternehmen auf Cloud-Native Architecture (CNA). msg und die Technische Universität München (TUM) haben gemeinsam ein Whitepaper zum Einsatz von Cloud-Native veröffentlicht. Im Standpunkte-Interview gehen Michael Schäfer von msg und Maximilian Schreieck von der Universität Innsbruck (früher an TUM tätig) auf diese IT-Architektur ein und erklären, weshalb ein Cloud-Native-Ansatz keine Entweder-Oder-Entscheidung ist.
Die Cloud-Native Architecture gilt derzeit in vielen Unternehmen als bevorzugte Form der IT-Architektur. Was sind die Gründe?
Michael Schäfer: Lange fand die Diskussion statt: Gehen überhaupt alle Unternehmen in die Cloud? Ich glaube, das ist heute nicht mehr diskutierbar. Alle Unternehmen gehen diesen Schritt. Einmal aus Kostengründen. Zudem spielt Innovationskraft eine Rolle. Und Flexibilität und Geschwindigkeit: Bis Unternehmen die Infrastruktur für neue, technologische Trends bereitstellen können, dauert es zu lange. In den Public Clouds der großen Hyperscaler geht das sehr schnell. Wenn also alle in die Cloud gehen, ist der Druck hoch, ein entsprechendes Architekturangebot zu fertigen. Und das ist eben die Cloud-Native Architecture – denn diese adressiert die Vorteile der Cloud.
Maximilian Schreieck: Unternehmen sehen, wie aufwendig es ist, die IT-Infrastruktur selbst bereitzuhalten. Über die letzten Jahre ist das immer umfangreicher und komplexer geworden. Wählen sie stattdessen einen CN-Ansatz, wird ihnen vieles abgenommen und sie können sich darauf konzentrieren, ihre Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Das verstehen aktuell immer mehr Unternehmen – auch weil die technologische Entwicklung der Cloud-Provider so schnell fortschreitet.
Gibt es denn auch Nachteile von Cloud-Native?
Michael Schäfer: Ein Punkt ist die höhere Komplexität. Früher haben wir monolithische Applikationen gebaut, die auf einem Server liefen. Bei der CNA ist es so, dass wir diesen Monolithen in viele Teile zerschneiden und verteilen. Diese Kleinteiligkeit hat ihre Gründe, da die Vorteile der Cloud anders nicht optimal nutzbar wären. Gleichzeitig entsteht durch diese Kleinteiligkeit aber eine Komplexität, die neue Risiken und hohe Kosten für die Realisierung birgt.
Welchen Herausforderungen begegenen Unternehmen bei der Umsetzung von Cloud-Native?
Maximilian Schreieck: Durch die Cloud-Transformation erleben wir zurzeit einen Paradigmenwechsel. Und Paradigmenwechsel sind nie friktionsfrei. Ich kann hier drei Beispiele nennen: Erstens muss mit der Cloud-Native-Architektur ein Kulturwandel einhergehen. In der Regel bilden Unternehmen dafür ihre Belegschaft weiter. Dieser Prozess braucht Zeit und sollte nicht übers Knie gebrochen werden. Häufig geschieht aber genau das, da Unternehmen die genannten Vorteile „Geschwindigkeit“ und „Innovation“ möglichst schnell nutzen wollen. Mittelfristig wird man aber an Relevanz im Markt verlieren, wenn man sich nicht die nötige Zeit nimmt.
Ein weiterer Punkt ist die Legacy: Wenn man nicht gerade als Start-up auf der grünen Wiese baut, gibt es immer eine Art von Legacy, die weiterhin On-Premises ist. Ein Ergebnis unseres Whitepapers ist, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen die Cloud-Native Architecture vielleicht nicht sofort sinnvoll ist. Das führt dann zu Integrationsschwierigkeiten zwischen Legacy, die noch On-Premises ist und neuen Use Cases die mit einer Cloud-Native Architecture umgesetzt werden.
Als letztes Beispiel: Unternehmen, die selbst Software vertreiben und ihre ursprünglich lizenzbasierten On-Premises-Produkte auf Cloud-Native Architecture umstellen, müssen auch ihren Vertrieb stark verändern. Das klassische Vertriebsmodell, in dem Mitarbeitende Kommissionen aus den Umsätzen der Lizenzen generieren, funktioniert nicht mehr. Das sollten Unternehmen frühzeitig bedenken.
Worauf sollten Unternehmen achten, die auf Cloud-Native setzen wollen?
Michael Schäfer: Cloud-Native ist nicht nur eine binäre Sache. Die Entscheidung für CNA bietet Spielraum. Man kann bestimmte Eigenschaften, wie Elastizität, in einer hohen Qualität anbieten oder in einer niedrigeren. Das hängt immer vom individuellen Anwendungsfall ab. Muss ich hier eine besonders hohe Qualität anbieten oder ist weniger auch ausreichend?
Maximilian Schreieck: Ein Stichwort lautet Priorisierung. Hier kommt unser FAMM Modell ins Spiel. Es bildet eine Methode, um eine Priorisierung der Anwendungsfälle vorzunehmen.
Was steckt hinter der FAMM Methode?
Michael Schäfer: Das Ziel der Methode ist es, das Optimum für die Qualität einer CNA für einen konkreten Anwendungsfall zu finden. Was brauche ich wirklich, um am Ende möglichst wenig Risiko und möglichst geringe Kosten zu haben, den Zweck aber zu erfüllen?
Maximilian Schreieck: Das Schöne an der Methode ist, dass sie dies wirklich auf einzelne Anwendungsfälle herunterbricht und weggeht von einem dogmatischen Ansatz „alles muss Cloud-Native werden“. Das macht es sehr konkret.
Zu guter Letzt: Ist Cloud-Native ein kurzlebiger Trend oder die Zukunft, auf die Unternehmen unbedingt setzen sollten?
Michael Schäfer: Cloud ist definitiv ein Megatrend. Und solange dieser bestehen bleibt, begleitet uns auch das Thema Cloud-Native. Paradigmenwechsel macht man schließlich nicht alle zwei Jahre. Aber: Wenn die Welt immer innovativer und schneller wird, werden die Anwendungsfälle langfristig immer CN in der vollen Ausprägung brauchen. Deshalb hat die von uns entwickelte Methode eine Halbwertszeit. Für die Übergangsphase bietet sie aber eine sehr gute Orientierungshilfe, um Unternehmen bei ihrer Cloud-Transformation zu begleiten.